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Leben ist Vielfalt ist Schönheit

Galerie ehemaliges Reformiertes Schulhaus, Speyer

September - Oktober 2015

Hauptparts der Ausstellung Leben ist Vielfalt ist Schönheit

 

Die quadratischen schwarz-weiß-Fotografien der Serie Sinn im Unsinn zeigen mehr oder weniger alltägliche Ausschnitte von meinen Reisen: einen marokkanischen Eseltreiber, indische Tempel, buntes Treiben in Paris. Ein "on the road"-Charakter, nicht geplant und nicht gestellt, aus dem Moment heraus entstanden. Es geht um die Bewahrung eines flüchtigen Moments, um Begegnungen, um Suchen und Finden, um einen winzigen Ausschnitt der Welt aus meinem Blickwinkel.

 

Der andere Part der Ausstellung, mein Herzensprojekt: die Gipsabdrücke von weiblichen Oberkörpern. Sie hingen an Fleischerhaken aufgespießt, an Metallketten von der Decke in verschiedenen Räumen, eine Art Fleischbeschau in zweierlei Hinsicht. 

Bisher sind es 19 Frauen, die ich abgegipst habe und 20 Büsten, denn eine der Frauen wurde vor und während ihrer Schwangerschaft gegipst, allerdings nur 39 Brüste, denn unter den Frauen gibt es auch eine mit einer Brustamputation. Es geht darum, zu zeigen, wie solche Frauen aussehen, jung, alt, in allen Größen und Formen. Der Gips bildet nicht nur ihre Körper, sondern die Realität ab. So ist das Leben. Das kann durchaus einen Kontrast zum propagierten Schönheitsideal bilden. Im Prinzip ist das Projekt noch nicht abgeschlossen, denn je mehr Vielfalt gezeigt wird, desto mehr Facetten von Schönheit können offenbart werden. Daher auch der Titel der Ausstellung: "Leben ist Vielfalt ist Schönheit".

 

Diese beiden ganz verschiedenen Projekte passen insofern gut zusammen, weil sie beide Momentaufnahmen sind. Und bei beiden geht es um das Echte. Die Fotos wurden weder mit Stativ aufgenommen, noch waren sie geplant, sie sind keineswegs perfekt! Und so sind auch die Frauenkörper einfach wie sie sind, ohne Retusche. Aber letztlich sind sowohl die Exponate - Fotografien und Gipsbüsten -, sowie die gegipsten Frauen, die dahinter stecken, alle einzigartig, spannend und schön.

Flyer

Bildergalerie

Vorberichterstattung in der

Speyrer Rheinpfalz vom 19.9.2015

Hans-Jürgen Herschel fand wunderschöne, wahre Worte, um in den Abend einzuführen, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

Einführende Worte von Hans-Jürgen Herschel

 

Leben ist Vielfalt ist Schönheit

 

Galerie im ehemaligen Reformierten Schulhaus, Speyer

19.09.2015

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Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die Schönste im ganzen Land? –

Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, 

aber Schneewittchen, 

hinter den Bergen, 

bei den sieben Zwergen,

ist noch tausendmal schöner als Ihr.

 

 

Verehrte Anwesende,

 

Wir wissen alle, welche narzisstische Kränkung die Auskunft des befragten Spiegleins in der fragenden Königin verursachte und welche finsteren Mordpläne daraus erwuchsen. Wir erinnern uns auch, dass der trojanische Krieg, wenn man Homer Glauben schenkt, damit seinen Anfang nahm, dass die Göttin der Zwietracht einen goldenen Apfel in die Gesellschaft warf mit der fatalen Aufschrift „Der Schönsten“.

 

In beiden Fällen steckt das entscheidende sprachliche Gift im Superlativ: der Königin genügt es nicht schön zu sein, sie will die Schönste sein, und zwar im ganzen Land. Und auch den Bewerberinnen um den Eris-, den sprichwörtlichen Zank-Apfel, reicht das Attribut „schön“ nicht aus, sie wollen sich als Schönheit Number One ausgezeichnet sehen.

 

Was treibt den Menschen dazu an, sich mit anderen zu vergleichen?

Was macht den Menschen so süchtig nach dem Superlativ?

Warum lässt er sich einreden, überall könne es nur einen Sieger geben – und alle anderen seien Verlierer?

Das sind die Fragen, die Lena Csercsevics zu ihrer Projektarbeit motivieren, die sie in ihren Arbeiten formuliert und damit ans Publikum weiterreicht.

 

Kaum eine Frau – auch kaum ein Mann? – ist mit dem eigenen Aussehen völlig zufrieden. 

Da ist ein kleiner Pickel, dort eine leichte Krümmung der Nase, da macht sich die Hüfte zu breit, dort bleibt das Bein zu kurz, hier sind die Haare zu dünn. Alles nicht so schlimm, hätten nicht die anderen eine gerade Nase, eine geringfügig schmalere Hüfte, ein etwas längeres Bein und, doch, doch, deutlich dichteres Haar. Der Teufel steckt im Detail, vor allem aber steckt er im Sich-Vergleichen, vermutlich ist es sogar seine Erfindung.

 

Wir leben in einer Zeit des Ranking. Der Geist der Stiftung Warentest scheint sich über alles gelegt zu haben, auch über das, was keine Ware ist, aber durch das Ranking zu einer werden könnte, meist zu einer unverkäuflichen.

Die zweite Silbe des Worts verrät uns viel: -king. Der King, der König, der Beste, das möchte jeder sein. Aber der Einsatz beim Ranking-Spiel ist hoch: Wer das Rennen nicht macht, verliert seinen Einsatz: Wer nicht der Beste ist, ist nicht gut, wer nicht der Stärkste ist, ist nicht stark, wer nicht der Schönste ist, ist nicht schön. „The winner takes it all.“

 

Mit dem Titel ihrer Ausstellung ruft Lena uns eine Alternative zu: „Leben ist Vielfalt ist Schönheit“. Schönheit ist absolut, sie bedarf keines Vergleichs und sie ist resistent gegen alles Vergleichen. Statt die Schönheit durch den Superlativ zu einem knappen Gut zu machen, das nur einer, höchstens ein paar wenige besitzen können, vermehrt sie die Schönheit durch den Plural, jeder Mensch hat seine eigene Schönheit und jede Schönheit ist anders.

Dies erfahrbar zu machen ist Sinn ihres Projektes „Büsten“. Gezeigt werden unbearbeitete Gipsabdrücke von weiblichen Brüsten. Aber das ist nur die Außenseite des Projekts. Jeder Gipsabdruck dokumentiert eine persönliche Begegnung, über der, schützend, der Schleier der Diskretion liegt. Wir erfahren keine Namen, wie erfahren nichts von verschwiegenen Ängsten, nichts von unausgesprochenen Hoffnungen, wir wissen nicht, was die beiden Frauen einander mitteilten, während der Abdruck genommen wurde, was sie einander anvertrauten und was nicht. Nur eines hat Lena verraten: dass nahezu allen Frauen ihr Busen nachher besser gefiel als vorher. Sie waren ihm, dank der Verfremdung durch das Material, als einem fremden begegnet, und, wie erlöst von übergroßer Selbstkritik, hatten sie Ja zu ihm sagen können.

 

Es ist kein Wunder, dass Lena mittlerweile eine kleine Warteliste von Frauen hat, die zu einem Gipsabdruck ihrer Brust bereit sind. Der gesamte Prozess, von dem wir ja nur den kleinen sichtbaren Teil wahrnehmen, scheint etwas Heilsames zu haben. Das befreiende Nein zu diktierten Schönheitsnormen und das entschiedene Ja zur Schönheit des eigenen Körpers stärken dem ganzen Menschen das Rückgrat, machen ihn selbstsicher, und diese Sicherheit bringt die Schönheit noch mehr zum Glänzen.

 

Auch eine vernarbte Wunde ist schön. Die Frau, deren Brust amputiert wurde, die aber dennoch einem Gipsabdruck zustimmte, demonstrierte vielleicht gar nicht in erster Linie Mut, sondern vielmehr eine tiefe Weisheit, die Schönheit nicht mit Kategorien der Proportion oder der Symmetrie misst, sondern daran, ob der Wille zum Leben sichtbar wird.

 

Und weil die beiden ein Paar sind, passen die Gedichtzeilen von Manuel Zerwas hier so gut (oder sind sie vielleicht ein Paar, weil die Gedichtzeilen so gut passen?): Ich will das Leben / Ich will das Leben / ich will das Leben / ich will das heilige übernatürliche unergründliche unfassbare schöne Leben.

 

Die Büsten stehen pars pro toto für den ganzen lebenden, leben wollenden Körper. Nur spinnerte Spanner, deren primäres Interesse sich ausschließlich auf sekundäre Merkmale richtet, können das anders sehen. Mitbestimmend für die Wahl gerade dieses Körperteils mag gewesen sein, dass wir in der weiblichen Brust eben doch eher den Repräsentanten des Lebens sehen als in einer abschüssigen Nase oder einem labyrinthischen Ohrläppchen. Die voyeuristische Vermarktung der weiblichen Brust bekommt allerdings einen unübersehbaren Seitenhieb. Die Fleischerhaken, an denen die Gipsabdrücke aufgehängt sind, demaskieren die kommerziell ausgeschlachtete Sexualität als Fleischbeschau. Aber dennoch wirken diese Arbeiten nicht in erster Linie als Kritik an sexistischen Auswüchsen. Sie wirken vielmehr als ein Ja zum Leben auf einer viel grundsätzlicheren Ebene.

 

Diese Liebeserklärung an das Leben, an seine schöne Vielfalt und vielseitige Schönheit bleibt nicht im Bereich des eigenen Subjekts und seines Körpers, sondern bricht auf in die Welt. Die durchweg in quadratischem Format präsentierten Fotografien entstanden auf reisen, sie zeigen den wachen Blick Lenas für Augenblicke, die Geschichten erzählen: die unspektakuläre Geschichte eines Mannes, der auf seinem Esel sitzend vielleicht auf dem Weg zum Markt ist, vielleicht auf dem Heimweg, wahrhaft das Bild eines Menschen, der dem Glück nicht nachjagen muss, um glücklich zu sein, die aufregende Geschichte eines nicht mehr ganz so jungen Mannes in Paris, der noch ein paar Abenteuer mehr erleben will, die noch chaotisch- ergebnisoffene Geschichte einer WG, die einen Einkaufswagen als Möbelstück benutzt, auf dem Bild mit dem wunderschönen Titel „Gefühle, Gedanken, Kartoffelsalat“. Passend formuliert Manuel Zerwas, der übrigens für seine literarischen Arbeiten in diesem Jahr den Martha-Saalfeld-Förderpreis bekommen hat:

Das Leben ist voll angefangener Geschichten / Die niemals zu Ende geschrieben werden.

 

Verehrtes Publikum, wenn wir wieder sehen und hören lernen, werden wir diese angefangenen Geschichten verstehen und mit fantastischer Lebenslust werden wir sie weiterschreiben, immer weiter, aber nicht zu Ende. Wie gut, dass junge Menschen wie Lena und Manuel uns dazu ermuntern. Ja: Das Leben ist schön.

Einführung H-J Herschel

Alle Nutzungsrechte der hier veröffentlichten Fotografien und Inhalte liegen bei Lena Csercsevics, sofern nicht anders gekennzeichnet. Die Nutzung dieser durch andere ist nicht gestattet.

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